Gericht: | OLG Frankfurt 5. Zivilsenat |
Entscheidungsdatum: | 27.03.2012 |
Aktenzeichen: | 5 AktG 3/11 |
Dokumenttyp: Keine Anwendbarkeit des SchVG 2009 auf Inhaberschuldverschreibungen einer ausländischen Emittentin, die vor dem 5.8.2009 ausgegeben wurden | Beschluss |
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- Auch sehen die zur Bewältigung von Zahlungsschwächen bei Staaten, die Anleiheschuldner sind, auf internationaler Ebene gefassten Beschlüsse keine Erstreckung von Mehrheitsklauseln ipso iure auf bereits laufende Schuldverschreibungen vor. Mit dem SchVG 2009 entsprach der Gesetzgeber den Empfehlungen einer von den G 10 eingesetzten Arbeitsgruppe („Report of the G 10 Working Group on Contractual Clauses“) vom September 2002 zur Aufnahme von Umschuldungsklauseln in die Anleihebedingungen von Schwellenländern („collective action clauses“, CAC, vgl. Schneider in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S.71), zurückgehend auf einen Bericht der Rechtsabteilung des IWF zur internationalen Verwendung solcher Klauseln (wie vor, S. 72). In diesem war hervorgehoben worden, dass es zweifelhaft sei, ob das deutsche Recht, wohl das AGB-Recht, geeignete Strukturierungsmaßnahmen durch Mehrheitsklauseln zulassen würde. Der sog. Rey-Report (hier zitiert nach Rechtsgutachten A S. 28) hatte sogar das Problem der Altbestände gesehen, war aber davon ausgegangen, dass hier allenfalls die Möglichkeit eines Umtauschs gegen solche Anleihen zu erwägen wäre, die dem Mehrheitsprinzip unterworfen sind.
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- Das gesetzgeberische Ziel des SchVG 2009 lag ausweislich der Regierungsbegründung in der Erleichterung einer Krisenbewältigung einerseits und in der Erhöhung der Attraktivität der zugunsten deutscher Unternehmen begebener Schuldverschreibungen (BT-Drucksache 16/12814 S. 13). Ohne das Mehrheitsprinzip werden Sanierungsmaßnahmen, wie Schuldenschnitte, erheblich erschwert, weil einzelne Gläubiger, die sogenannten free rider, von der Sanierungsbereitschaft der Gläubigermehrheit profitieren würden. Daraus sind aber Schlüsse für einen Willen des Gesetzgebers zur Gestaltung bereits bestehender Anleihen nicht möglich.
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- Es kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber eine Rückwirkung für Schuldverschreibungen wollte, die bislang einem Mehrheitsprinzip nicht unterworfen waren, weil die Begründungen im Gesetzgebungsverfahren eine Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen einer zulässigen Rückwirkung vermissen lassen. Das SchVG wäre bei Anwendung eines Mehrheitsprinzips ex lege für bereits begründete Schuldverhältnisse außerhalb des Anwendungsbereiches des SchVG 1899 als belastendes Gesetz anzusehen, weil es eine bestehende Rechtsposition verschlechtern würde (vgl. Schmidt/Bleibtreu/Hoffmann, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 20 Rz. 80 mwN.). Die nachträgliche Unterstellung einer Anleihe unter ein Mehrheitsprinzip wäre dem Anleger nachteilig, weil - wovon auch das von der Antragstellerin vorgelegte Rechtsgutachten des Prof. Dr. A ausgeht (S. 28 und 33) - für eine Anleihe mit einer Mehrheitsklausel ein höherer Zins veranlasst wäre, als er für die gleiche Anleihe zu zahlen wäre, wenn sie dem Vertragsgrundsatz unterfiele.
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- Es kann dahin stehen, ob mit der gesetzlichen Unterstellung des bereits entstandenen, wenn auch noch nicht fälligen Rückzahlungsanspruchs des Anlegers unter eine Mehrheitsentscheidung der Gläubiger eine echte oder nur eine unechte Rückwirkung vorläge. Auch eine unechte oder retrospektive Rückwirkung, also die gesetzliche Einwirkung auf einen noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt, müsste nämlich verhältnismäßig sein. Bei einem Eingriff in die als Eigentum geschützte Position, wie sie mit dem Rückzahlungsanspruch des Altgläubigers aus der Schuldverschreibung entstanden ist (vgl. v.Mangold/Klein/Depenheuer, GG, Band I, 6. Aufl. 2010, Art. 14 Rz. 111), wäre eine angemessene und zumutbare Überleitungsregelung erforderlich, um dem Gebot des Vertrauensschutzes Rechnung zu tragen (wie vor, Art. 14 Rz. 230). Immerhin hatten die Anleger im Vertrauen auf den Fortbestand ihrer Ansprüche hohe finanzielle Investitionen getätigt. Die zu zeichnende Anleihe hatte eine Mindeststückelung von 50.000,00 €.
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- Die Darstellung des Privatgutachters Dr. h.c. D, es seien dazu das öffentliche Interesse an der Bewältigung der Finanzkrise und an der Sanierung von Emittenten gegen die „Gleichgültigkeit, Uneinsichtigkeit und Obstruktion einzelner Anleihegläubiger“ abzuwägen, teilt der Senat nicht. Diese Ansicht berücksichtigt nicht das schützenswerte Interesse der Anleihegläubiger, eine Durchsetzung ihrer Forderungen ganz oder teilweise notfalls in einem Insolvenzverfahren zu erreichen.
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- Das Fehlen einer sachlichen Auseinandersetzung mit der Rückwirkung und einem Vertrauensschutz zu Gunsten der Altanleger in der Regierungsbegründung zu § 24 (BT-Drucksache 16/12814 S.27) drängt den Schluss auf, dass der historische Gesetzgeber – im Bewusstsein der Abwägungsnotwendigkeiten - eine Rückwirkung gar nicht gewollt hat, jedenfalls soweit sie über den persönlichen Anwendungsbereich des alten Gesetzes von 1899 hinausgeht. Wäre ein gesetzlicher Eingriff in bereits bestehende Eigentumsrechte iSd. Art. 14 Abs. 1 GG gewollt gewesen, hätten die im Gesetzgebungsverfahren gegebenen Begründungen naheliegend die maßgeblichen Vertrauens- und Verhältnismäßigkeitsaspekte dargestellt. Es finden sich, wie oben schon erwähnt, auch keine Rechtfertigungen, warum für Altgläubiger der ansonsten geltende Ermächtigungsgrundsatz nicht anzuwenden sein sollte. Einer der Privatgutachter der Antragstellerin weist darüber hinaus darauf hin (Gutachten Prof. Dr. C S. 6), dass mit der Erstreckung des Mehrheitsprinzips auf Altanleihen die negative Vereinigungsfreiheit der Anleger berührt sein kann (Art. 9 Abs. 1 GG), also das Recht, an einer organisierten Willensbildung nicht teilnehmen zu müssen.
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- Das Vertrauen der Anleger in den Fortbestand der bisherigen gesetzlichen Regelung war bei Ausgabe der Schuldverschreibung im Jahr 2007 nicht eingeschränkt, wie aber die Antragstellerin meint. Erst mit einem Gesetzesbeschluss des Bundestages ergibt sich grundsätzlich eine Beeinträchtigung der Vertrauenslage (vgl. Schmidt/Bleibtreu/Hofmann, GG; 12. Aufl. 2011, Art. 20 Rz. 81 mwN.). Der Senat kann der Ansicht der Antragstellerin nicht folgen, bereits aus den Diskussionsentwürfen des Bundesministeriums, der Stellungnahme des Anwaltsvereins und dem Referentenentwurf von 2006 ergäbe sich eine Beeinträchtigung des Vertrauens der Anleger. Der durchschnittliche Anleger muss Gesetzgebungsverfahren in diesem Stadium nicht verfolgen, zumal es insoweit auch meist an Veröffentlichungen fehlt.
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- Der von der Antragstellerin erhobene Einwand, ein Vertrauen in den Vertragsgrundsatz habe nicht entstehen können, weil nach § 12 der Anleihebedingungen die niederländische Schuldnerin sich durch eine deutsche Schuldnerin habe ersetzen lassen können mit der Folge einer nachträglichen Anwendung des SchVG 1899, greift nicht durch: Dies ergibt sich schon daraus, dass § 1 des SchVG 1899 das Mehrheitsprinzip nur dann ermöglicht, wenn der Schuldner bei Begebung seinen Sitz in Deutschland hatte („Sind von jemand, der im Inland seinen Wohnsitz oder seine gewerblich Niederlassung hat, Schuldverschreibungen… ausgestellt, …“), weshalb es auch belanglos ist, dass die Schuldnerin ihren Sitz später nach Deutschland hätte verlegen können. Dessen ungeachtet stellten die Anleihebedingungen AGB dar (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH vom 28.6.2005, XI ZR 363/04 - BGHZ 163, 311, Rz. 13 bei juris mit zahlreichen Nachweisen). Die Schuldnerersetzung dürfte von wesentlichen Grundgedanken des Vertragsrechts aber abweichen (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB), was durch den Fortbestand der Garantie nicht ausreichend abgemildert wird.
Diese Klage wurde von Sdk Anwälten angestrengt und durchgeführt.
AntwortenLöschenSelbiges läuft nun auch gegen Griechenland.