Gericht: | OLG Frankfurt 11. Zivilsenat |
Entscheidungsdatum: | 30.07.2012 |
Aktenzeichen: | 11 AR 132/12 |
Dokumenttyp: | Beschluss |
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Quelle: | |
Normen: | Art 6 Nr 1 EGV 44/2001, Art 16 EGV 44/2001, § 12 ZPO, § 17 ZPO, § 36 Abs 1 Nr 3 ZPO |
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- Die
Regelung der örtlichen Zuständigkeit in Art. 16 EuGVVO ist im
Bestimmungsverfahren gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zwingend zu beachten.
Leitsatz
- 1. Die örtliche Zuständigkeit für Verbraucherschutzsachen ist in Art. 16 EuGVVO abschließend geregelt.
2. Beim Erwerb einer Fondsbeteiligung durch einen Privatanleger handelt es sich um eine Verbrauchersache.
3.
Bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts führt die Regelung in Art.
16 EuGVVO zu einer Beschränkung des Auswahlermessens im
Bestimmungsverfahren, weil die dort geregelten Zuständigkeiten zwingend
beachtet werden müssen.
Anmerkung
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Tenor
- Das Landgericht Marburg an der Lahn wird gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als das zuständige Gericht bestimmt.
Gründe
I.
- 1
- Der
Antragsteller beabsichtigt, die Antragsgegnerinnen wegen einer aus
seiner Sicht fehlgeschlagenen Beteiligung an dem ...fonds … GmbH &
Co. Verwaltungs KG als Gesamtschuldner auf Schadensersatz in Anspruch zu
nehmen.
- 2
- Der
Erwerb der Anlage erfolgte auf der Grundlage einer Beratung durch die
Antragsgegnerin zu 1). Die Antragsgegnerin zu 2) übernahm die
Anteilsfinanzierung und fungierte als schuldübernehmende Bank
hinsichtlich der Zahlungsverpflichtungen aus den Erlöseinnahmen. Der
Antragsteller behauptet, dass sowohl das von Mitarbeitern der
Antragsgegnerin zu 1) geführte Beratungsgespräch als auch die Beratung
der Antragsgegnerin zu 2) und der zugrunde liegende Prospekt inhaltlich
unzureichend gewesen seien.
- 3
- Der
Antragsteller beantragt, das Landgericht Darmstadt als das örtlich
zuständige Gericht zu bestimmen. Die Antragsgegnerinnen haben dem
zugestimmt.
II.
- 4
- Auf
den nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zulässigen Antrag war von dem nach § 36
Abs. 2 ZPO dazu berufenen Senat das Landgericht Marburg an der Lahn als
das gemeinsam zuständige Gericht zu bestimmen.
- 5
- Nach
§ 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erfolgt auf Antrag eine Gerichtsstandsbestimmung,
wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren
allgemeinen Gerichtsstand haben (§§ 12, 17 ZPO), als Streitgenossen
verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher
besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist. Diese Voraussetzungen
liegen vor.
- 6
- Für
die Prüfung der Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist vom
Vortrag des Antragstellers auszugehen. Eine Prüfung der Zulässigkeit
oder Schlüssigkeit der Klage findet im Verfahren der
Zuständigkeitsbestimmung nicht statt (Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl.,
§ 36 Rn. 18).
- 7
- Streitgenossenschaft
auf Beklagtenseite ist gegeben. Gegenstand des Rechtsstreits sind
Ansprüche wegen Aufklärungspflichtverletzungen im Zusammenhang mit der
Vermittlung der Kommanditbeteiligungen an den Antragsteller, also aus im
Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Gründen i. S.
d. §§ 59 ff ZPO.
- 8
- Die
Antragsgegnerinnen haben ihren allgemeinen Gerichtsstand in
verschiedenen Landgerichtsbezirken, die Antragsgegnerin zu 1) im Bezirk
des Landgerichts Darmstadt, die Antragsgegnerin zu 2) hat keinen
allgemeinen inländischen Gerichtsstand.
- 9
- Ein
gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand der Antragsgegnerinnen ist
nicht begründet. Er ergibt sich insbesondere nicht aus Art. 6 Nr. 1
EuGVVO. Die Vorschrift ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die
Zuständigkeit für Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen ist im
3. – 5. Abschnitt der EuGVVO abschließend geregelt. Das folgt aus Art.
15 Abs. 1 EuGVVO, wonach sich die Zuständigkeit bei Verträgen mit
Verbrauchern unbeschadet des Art. 4 und des Art. 5 Nummer 5 EuGVVO nach
dem 4. Abschnitt der Verordnung richtet. Art. 6 Abs. 1 EuGVVO ist dort
nicht benannt und findet daher neben Art. 16 EuGVVO keine Anwendung
(Zöller/Geimer, ZPO, 29. Aufl., Rn. 1a zu Art. 6 EuGVVO; EuGH, EWiR
2008, 435; KG, Beschl. v. 11.09.2006, 28 AR 34/06; Senat, Beschl. v.
27.02.2012, 11 AR 72/11). Vorliegend ist von einer Verbrauchersache
i.S.d. Art. 15 Abs. 1 lit. c) EuGVVO auszugehen, weil der Antragsteller
den Fondsanteil als Privatanleger erworben hat (Geimer a.a.O., Rn. 14 zu
Art. 17).
- 10
- Als
zuständig war das Landgericht Marburg an der Lahn zu bestimmen. Bei der
Bestimmung des zuständigen Gerichts führt die gemeinschaftsrechtliche
Regelung in Art. 16 Abs. 1 EuGVVO im Ergebnis zu einer Beschränkung des
Auswahlermessens im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO.
- 11
- Nach
allgemeiner Ansicht eröffnet die VO nicht nur die internationale
Zuständigkeit der Gerichte des Wohnsitzstaates des Verbrauchers, sondern
regelt darüber hinaus auch die örtliche Zuständigkeit. Liegt der
Beklagtenwohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat, so wird auch die
örtliche Zuständigkeit grundsätzlich durch die VO geregelt und sind §§
12 ff. ZPO vollständig ausgeschaltet (Geimer a.a.O. Rn. 6 zu Art. 2
EuGVVO; KG a.a.O. Rn. 8). Damit bleibt der Rückgriff auf die Regelungen
der ZPO auch bezüglich der örtlichen Zuständigkeit versperrt, wenn diese
– wie in Art. 16 Abs. 1 EuGVVO - unmittelbar festgelegt wird.
- 12
- Aus
dem Anwendungsvorrang der EuGVVO ist zu schließen, dass die dort
geregelten Zuständigkeiten – anders als etwa die ausschließlichen
Gerichtsstände der ZPO – auch im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1
Nr. 3 ZPO zwingend beachtet werden müssen (Geimer a.a.O. Rn. 30; Senat
a.a.O.).
- 13
- Im
vorliegenden Fall hat dies zur Folge, dass als zu bestimmendes Gericht
nur das Landgericht Marburg an der Lahn in Betracht kommt, weil der
Antragsteller dort seinen allgemeinen Gerichtsstand hat und die
Antragsgegnerin zu 2) nur an diesem international wie örtlich eröffneten
Gerichtsstand verklagt werden kann.
Hinweis:
Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen
Gerichte ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende
Dokumentation durch die obersten Bundesgerichte erfolgt.
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